Munich
Germany
Sendlingertorplatz Munich AIDS Memorial since 17 July 2002
without names
Das Aids-Memorial
aus Erinnerungsorte in München

Das Aids-Memorial 2002 ist bundesweit das erste Projekt zum öffentlichen Gedenken an Aids, das aus den Reihen der Bürger initiiert und auf kommunaler Ebene gefördert worden und aus einem internationalen Künstlerwettbewerb hervorgegangen ist.

Bereits Mitte der 80er Jahre begannen viele Menschen, Zeichen zur Erinnerung an das Virus und die Aids-Verstorbenen zu setzen und der sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung zu begegnen. So entwickelte sich u. a. 1987 in San Francisco aus einer politischen Demonstration heraus der „Memorial Quiltinternational“: Tausende von Menschen fügten hier ihre selbst genähten Fahnen, welche die Namen verstorbener Freunde und Angehöriger tragen, zu einer riesigen Patchwork-Decke zusammen. Diese wurde seitdem stetig vergrößert und auf öffentlichen Plätzen ausgebreitet. 1992 wurden in Toronto auf einem dreieckigen, von Säulen umrahmten Grundriss Platten mit Inschriften in den Boden eingelassen. 1997 folgten Key West und Florida dieser Form der Gedenkstätte.

Sechs Jahre, nachdem der damalige Staatssekretär des bayerischen Innenministeriums Peter Gauweiler die Zwangstestung von Homosexuellen und Meldepflicht für AIDS-Infizierte gefordert hatte, entstand 1992 durch den Künstler Tom Fecht das Projekt „Namen und Steine“ in Deutschland. Diese mit den Namen Verstorbener versehene Bodenpflasterungen finden sich mittlerweile in ganz Europa. 2001 weihte man in Afrika das erste Denkmal in Form einer riesigen AIDS-Schleife ein.

Rund zwanzig Jahre nach dem Tod des ersten an der Immunschwäche erkrankten Menschen wurde das erste deutsche AIDS-Memorial in München am Sendlinger Tor enthüllt.

Die Geschichte dieses Denk- bzw. Mahnmals begann im Sommer 2000, als der Stadtrat der Landeshauptstadt München auf Initiative der Fraktionsgemeinschaft Bündnis 90/Die Grünen und Rosa Liste beschloss, öffentlich und solidarisch der
Menschen zu gedenken, die seit 1981 von dem Virus betroffen sind: Verstorbene, Infizierte, Angehörige und Freunde. Im Rahmen eines internationalen Kunstwettbewerbes lud das Kulturreferat mehrere Künstlerinnen und Künstler ein, Entwürfe zur Realisierung des Projektes einzureichen.

Schließlich wurde Wolfgang Tillman (geb. 1968), der in seinen Arbeiten alltäglichen Formen in einem veränderten Kontext neue Bedeutung verleiht, mit der Ausführung seines Entwurfs betraut. Seine Säule mit den zwei einfachen Sitzbänken aus Stein – als ein Ort des Verweilens inmitten der hektischen Betriebsamkeit des Sendlinger Tors – zeugen von Einfachheit und Zurückhaltung und lassen nicht zuletzt dadurch genug Raum für Assoziationen, aber auch für Nichtbeachtung und Vorbeigehen. Das an dem Treppenaufgang der U-Bahnstation angebrachte Schild verweist nicht nur auf die besondere Bedeutung der als schlicht erscheinenden Litfasssäule, sondern bietet mit den darauf abgebildeten U-Bahnsäulen
die Möglichkeit zur Interpretation: Als eine von vielen holt der Künstler eine UBahnsäule aus dem Untergrund der Anonymität an die Oberfläche, um auf diesem Wege auf die alltägliche Präsenz von AIDS aufmerksam zu machen. Die Säule hat Tillman wohl nicht gewählt, um sich in die Tradition der Gedenksäulen (z. B. Pestsäule) einzureihen. Für ihn steht sie vielmehr – im Kontext des U-Bahnausbaus für die Olympischen Spiele 1972 – für Aufbruchsstimmung, Fortschrittsoptimismus, die Fassbinder-Zeit und gesellschaftliche Toleranz.

Die Keramik-Kacheln lassen einerseits die Lebendigkeit der Oberfläche zu Tage treten, wirken aber andererseits auch kühl und gefühllos, wie auf einer Intensivstation oder in einem Schwimmbad. Das Türkisblau der Kacheln mag letzteren Eindruck verstärken oder aber als Farbe der Hoffnung und des Himmels als Erinnerung an die Verstorbenen erscheinen.

Die Säule trägt auf zwei Seiten die Inschrift: „AIDS – Den Toten, den Infizierten, ihren Freunden, ihren Familien – von 1981 bis heute“. Damit zieht das Memorial keinen zeitlichen Schlussstrich. Im Gegenteil: Es ruft auf zur Erinnerung, Prävention und Solidarität im Jetzt.

So kann man mit den Worten Khalil Gibrans schließen:
„Mit Erinnerung umfasst die Gegenwart die Vergangenheit, und mit Sehnsucht zeugt das Heute das Morgen.“
(Khalil Gibran: Das Auge des Propheten)

30 June 2004
Barbara Pawlik, München